Maschinenschriftliches Schreiben

GERDA UND DER KOSMIKER

Schaufensterreihe IGPP-Archiv # Nr. 9

Autor: Uwe Schellinger

Maschinenschriftliches Schreiben
Abb. 1 Archivale_NF9_01_23 Schreiben von Karl Wolfskehl an Gerda Walther vom 6.10.1930 (Archiv des IGPP, 10/6_24)

Die aus dem Schwarzwälder Kurort Nordrach stammende Dr. Gerda Walther (1897-1977) kann als die wohl einflussreichste weibliche Vertreterin der Parapsychologie im 20. Jahrhundert aus Deutschland gelten. Zudem wird die Husserl-Schülerin und Phänomenologin inzwischen verstärkt im Kontext der Philosophiegeschichte beachtet. Unter den zahlreichen Bekannten der enorm fleißigen Autorin und rührigen „Netzwerkerin“ findet sich mit Karl Wolfskehl (1869-1948) einer der bedeutendsten deutsch-jüdischen Schriftsteller der Moderne. Wolfskehl, der vor allem als Exilliterat eine große Bedeutung hat, gehörte zum berühmten Münchner Intellektuellenkreis der sogenannten „Kosmiker“ um Stefan George und Ludwig Klages. Walther lernte Wolfskehl kennen, nachdem sie 1928 nach München gezogen war, um für Albert von Schrenck-Notzing zu arbeiten. Man begegnete sich auf einem der rauschenden Münchner-Faschingsfeste, auf den Wolfskehl allgegenwärtig war. Walther ließ Wolfskehl 1929 einen ihrer philosophischen Aufsätze zur Beurteilung zukommen. Der im Archiv des IGPP aufbewahrte (leider unvollständige) Schriftwechsel deutet darauf hin, dass es in der Folge zu einem regen Austausch zwischen Walther und Wolfskehl gekommen ist, der auch Themen des wissenschaftlichen Okkultismus beinhaltete. Offensichtlich erhoffte sich die Wissenschaftlerin in diesen Jahren der eigenen beruflichen Unsicherheit die Unterstützung durch den weiterhin bekannten, fast dreißig Jahre älteren Schriftsteller – sowie einen Kontakt zum bewunderten Stefan George. Karl Wolfskehl hingegen scheint eher an privateren Begegnungen interessiert gewesen zu sein. Demzufolge zog sich Walther, merklich enttäuscht von Wolfskehls mangelnder Hilfsbereitschaft, nach einiger Zeit von dem berühmten Bohémien zurück. Karl Wolfskehl flüchtete nach dem Machtantritt der Nazis 1933 in die Schweiz, dann nach Italien und schließlich 1938 nach Neuseeland. In ihrer 1960 publizierten Autobiographie Zum anderen Ufer erwähnt Gerda Walther auch ihre Bekanntschaft zu dem „Kosmiker“ mit einigen Zeilen.

Porträt von Gerda Walther
Abb. 2. Gerda Walther (1897–1977) (unbekannte:r Fotograf:in, Historischer Verein Nordach e.V.)
Porträt von Karl Wolfskehl
Abb. 3. Karl Wolfskehl (1869–1948) (Foto: Theodor Hilfsdorf, Münchner Stadtmuseum)
Visitenkarte von Karl Wolfskehl
Abb. 4. Visitenkarte von Karl Wolfskehl: Wolfskehl und seine Familie hatten seit 1915 einen weiteren Wohnsitz in Kiechlinsbergen am Kaiserstuhl (Archiv des IGPP, 10_6_24)
Cover Autobiographie
Abb. 5. Autobiographie „Zum anderen Ufer“ von Gerda Walther (1960) (Archiv des IGPP, Bestand 20_30)

m IGPP ausgestellte Objekte:

Karl Wolfskehl/München an Gerda Walther/München 06.10.1930

(Archiv des IGPP, 10/6_24)

Gerda Walther (1897-1977)

(unbekannte:r Fotograf:in, Historischer Verein Nordach e.V.)

Karl Wolfskehl (1869-1948)

(Foto: Theodor Hilfsdorf, Münchner Stadtmuseum)

Visitenkarte von Karl Wolfskehl (Sept. 1929)

(Archiv des IGPP, 10/6_24)

Gerda Walther: Zum anderen Ufer.

Vom Marxismus und Atheismus zum Christentum, Remagen (Otto Reichl Verlag), 1960

(Archiv des IGPP, Bestand (20/30)

Quelle der im Text verwendeten Objekte mit ihrer Archivsignatur.

Quelle:

IGPP-Archiv_Schaufenster_Gerda und der Kosmiker

Literatur:

Heinrich Eppe: Gerda Walther (1897-1977) – ihr zweifacher Weg „aus dem Dunkel zum Licht“, in: J. Baumgartner/B. Wedemeyer-Kolwe: Aufbrüche – Seitenpfade – Abwege, Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahrhundert. Festschrift für Ulrich Linse, Würzburg 2004, 91-97.

Rodney K. B. Parker: Gerda Walther (1897-1977): A: Sketch of Life, in A: Calcagno: Gerda Walther’s Phenomenology of Sociality, Psychology, and Religion , CH-Cham 2018, 3-9.


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